Juni 2009
Liebe Freunde,
am 5.6. 2009 habe ich in meinem Tagebuch notiert: „die gesundheitliche Situation des jungen Mannes mit dem Gesichtsabszess wird immer bedrohlicher. Das Gesicht ist auf nahezu doppelte Größe angeschwollen. Auch der Hals schwillt jetzt stark an. Ein Luftröhrenschnitt steht kurz bevor. Nur das nicht. Mir wird mulmig und der Magen dreht sich um. Ich würde den Patienten gerne nach Thailand verlegen, aber BawBaw ermutigt mich hier zu operieren. In Vollnarkose mit Ketamin mache ich einen ca. 10 cm großen Halsschnitt. Der Abszess wird gefunden, gespült und drainiert. Ich atme auf. Draußen rauscht mit großem Krach ein weiterer Monsunregen nieder. Am Nachmittag beim Verbandswechsel ist die Gesichtsschwellung rückläufig.“
So wie bei diesem jungen Mann haben wir es bei vielen Patienten erlebt: dramatische Krankheitsbilder, die ein beherztes Vorgehen erfordern und sich in kurzer Zeit bessern. Eine Medizin, wie wir sie hier nicht kennen. Wir, das sind mein Kollege und Freund Karlheinz und ich. Am selben Tag: ein junger Mann mit Gehirnentzündung und akuter Psychose (akuten sehr unruhigen Wesensveränderungen). Die Lumbalpunktion müssen wir in Vollnarkose durchführen. Auf eine entsprechende Therapie ist der junge Mann am nächsten Tag gebessert, lächelt und ist dankbar.
Die ersten Cholerafälle tauchen auf. Cholera geht mit massiven Durchfällen einher. Die Patienten sterben quasi an innerer Austrocknung. Ein junger Mann wird in einem weit fortgeschrittenen Zustand der Austrocknung und des Nierenversagens gebracht. Erst nach über 8 Litern Flüssigkeit und mehreren Ampullen Furosemid bessert sich sein Zustand. Auch er hat wieder eine Zukunft. Andere Patienten kommen mit Bauchabszess, Darmparasiten, Würmern, die aus dem Mund heraus kriechen, Kleinkinder mit schwerer Lungenentzündung, eine junge Mutter, deren Bauch prall mit Bauchwasser gefüllt ist, ein Junge, der halb ertrunken aus dem Moi River geborgen wurde u.v.a.
Da wir zwei neue Kliniken eröffnet haben, müssen die neuen Mitarbeiter in die Grundlagen der Dschungelmedizin eingeführt werden. Das ist die Aufgabe von Karlheinz, die neue Mannschaft dreimal am Tag zu unterrichten und in die Praxis einzuführen. Ich hatte einen Laborkurs durchzuführen, auch aus Mitarbeitern aller 5 Kliniken, mit vielen Übungen am Mikroskop. Ein weiteres Mikroskop hatte ich mitgeschleppt. Die größte Herausforderung war jedoch der Aufbau eines Narkose Teams. Wir haben mit der Durchführung von Allgemeinnarkosen begonnen. Nun können auch Vollnarkosen gemacht werden, mit Prämedikation und Überwachung, allerdings bisher ohne Beatmungsgerät.
Dieses Projekt, das zunächst für Kindernarkosen mit Augenproblemen gedacht war, musste gleich auch bei Erwachsenen genutzt werden. Bei zwei Kleinkindern konnten wir die Allgemeinnarkose einsetzen und so erfolgreich schwere Augenprobleme behandeln. Als eine ältere Frau noch auf dem Op. Tisch ins Herzversagen kommt, muss ich die ganze medizinische Kunst einsetzen, um Schlimmstes zu verhindern. Es stand auf der Kippe, durch den ersten Todesfall das ganze Projekt zu gefährden. Da gilt es zu beten und aus Fehlern für künftige Narkosen zu lernen.
Der älteste Augenpatient war 100 Jahre alt. Er konnte nur noch Handbewegungen erkennen. Nach erfolgreicher Katarakt Operation wurde er sehr gesprächig und anhänglich. Ich war der erste Engländer, den er nach den englischen Soldaten im 2. Weltkrieg traf. Als er mich in die Arme nahm und lange drückte war es wie ein Ritterschlag.
Noch in der Trockenzeit haben zwei Teams meiner Mitarbeiter abgelegene Gebiete besucht und dort medizinisch gearbeitet. Eins der Gebiete ist so unterversorgt, dass wir uns auch weiterhin darum kümmern müssen und eine Mannschaft dorthin dauerhaft abstellen müssen. Ein weiteres Hospital bedeutet aber auch die finanzielle Versorgung. Somit steigert sich die Anzahl unserer Hospitäler im Dschungel auf 12.