Dezember 2009
Liebe Freunde,
wohlbehalten bin ich zurück mit einem Rucksack an neuen Erfahrungen. In Genesis 16 kommt es zur Auseinandersetzung zwischen Isaak und den Philistern über zwei Brunnen, die er „Streit“ und „Zank“ nennt. Interessanterweise befindet sich im Brunnen „Zank“ eine „Quelle lebendigen Wassers“. So kann ich meine Situation zwischen den verfeindeten Brudervölkern der Karen beschreiben. Der eine Bruder heißt „Streit“, der andere „Zank“ und dazwischen und darin befindet sich die „lebendige Quelle“, mit der ich umso mehr verbunden sein muss, je verworrener die politische Situation wird. Die zweite Hälfte meiner Reise habe ich bei der einen Karen Gruppe verbracht, die mir zudem lange Zeit verübelt hatte, dass ich mit den anderen Karen intensiver zusammenarbeite.
Diese Karen aus der 2. Hälfte der Reise haben 30 mobile Kliniken im Kriegsgebiet aufgebaut, die von 15 verschiedenen Organisationen finanziert werden. Einmal im Jahr kommen die Mitarbeiter zusammen, und das unter Aufnahme von weiten Wegen und Gefahren. Meine neue Aufgabe ist es, sie in den verschiedenen Bereichen der Dschungelmedizin zu schulen. Allerdings kennt diese Medizin weder Labor noch Ultraschall oder Röntgen. Wie vermittelt man eine solche Medizin?
Diesmal waren die Baucherkrankungen zu besprechen. Die Karen Mitarbeiter sind mutig und kreativ. Einer von ihnen erzählte mir, wie er mehrfach bei Schussverletzungen des Bauches den Darm vernähen musste und das mit einfacher Narkose. In anderen Notsituationen, wo Infusionslösungen ausgegangen waren, erzählten - gleich mehrere - Mitarbeiter, wurde an Stelle von Infusionslösungen Kokoswasser in die Vene eingeleitet und lebensbedrohlicher Flüssigkeitsmangel ausgeglichen. Aber ich hatte auch etwas zum kreativen Notfallset beizutragen, wie aus einer 10 %igen Jodlösung, die es zur Desinfektion überall im Dschungel gibt, antibiotische Augentropfen hergestellt werden und bedrohliche Augeninfektionen bei Säuglingen behandelt werden.
Der leitende General der Karen kam mich zu besuchen. Wir kennen uns von früher her und er wollte mir seine Augenprobleme zeigen. Aber er wollte mir auch damit indirekt sein Vertrauen für die weitere Zusammenarbeit aussprechen. So war es am Ende auch eine versöhnliche Zeit und eine Zeit der Aussöhnung mit einigen verbohrten Gedanken in einigen verpanzerten Köpfen. Der eine feindliche Bruder hat eingesehen, dass mein Ziel nicht die Stärkung des anderen feindlichen Bruders, sondern die vielen Hilfen für die vielen Armen sind. Ziel und Weg konnten richtig gestellt werden. Das ist nicht selbstverständlich, sondern eine Wirkung der „Quelle lebendigen Wassers“, die wir zum Verstehen und zur Versöhnung dringend brauchen.
Zurück zum ersten Teil der Reise: eine Woche beim Brunnen „Streit“. Hier hatte sich ein großes deutsches Team versammelt. Es wurde viel operiert: allgemein chirurgisch, dental und im Auge. Die Physiotherapie wurde wieder aufgebaut und gut genutzt. Das Krankenhaus war voll belegt. Es wurde viel Unterricht gegeben. Ein junges Mädchen kam am vorletzten Tag in meine Ambulanz. Sie hatte schon mit einem Jahr eine Augeninfektion bekommen. Dort, wo die Pupille war, hatte sich der Rand der Iris kulissenförmig rundum beiderseits mit dem hinteren Rand der Hornhaut verbunden und eine vollkommene Blindheit geschaffen. Diese Augen konnten seit über 15 Jahren nur noch Lichtschein wahrnehmen. Ein burmesischer Augenspezialist wollte nicht operieren, aber ich wollte unbedingt. Die Mutter wollte wiederum nicht und hatte sich schon mit der Blindheit der Tochter abgefunden. Aber ich nicht. Ich wurde ungehalten - und setzte mich durch. Am Tag vor der Abreise operierte ich das linke Auge. Ich trennte die Verwachsungen außenseitig durch und schnitt vorsichtig ein Loch in die Iris, das als neue Pupille dienen sollte. Am Morgen der Abreise nahm ich neugierig den Verband ab. „Ich kann wieder sehen“ flüsterte sie leise. Und dann fester: „und ich möchte das andere Auge auch operiert haben“.
Die Augen sind ein Spiegel des Menschen. Das Mädchen heißt Naw Gay und ist 19 Jahre alt.
Die Augenoperationen wurden auf dieser Reise mit der neuen Operationslupe von Zeiss EyeMag durchgeführt, die ich als Spende der Fa. Bajohr OPTECmed erhielt.